Richter schickt Arzt zum Psychiater
"Ganz gesund können solche Verletzungen nicht sein", merkt Richter Andreas Rom an: Der Angeklagte ritzte sich, rammte sich einen Schraubenzieher in den Bauch, den dann eine Tochter herausziehen musste. Er probierte, sich aufzuhängen. "Ich hab' gewusst, der Strick reißt", schildert der Mann vor Gericht. "Aber ich wollte wissen, wie das Gefühl ist."
Nun ist der Angeklagte jedoch Arzt mit aufrechter Praxis in der Steiermark . Die abstrusen Eigenverletzungen und Suizidabsichten haben auch mit der aktuellen Anklage zu tun: Dr. L. wird vorgeworfen, seine vier mittlerweile erwachsenen Kinder gequält und bedroht zu haben (Die Opfer übermittelten am Freitag dem KURIER die Erklärung, mit vollem Namen in die Öffentlichkeit gehen zu wollen)."Durch wiederholte Ankündigung, er werde sich erhängen oder erschießen", führt Staatsanwalt Christian Kroschl aus. Außerdem soll er ihnen Zigaretten, Tabletten und Cannabis gegeben sowie sie gezwungen haben, verdorbene Lebensmittel zu essen. Zwei Töchter soll er in die Drogensucht getrieben haben.
In biederer Cordhose und hellbraunem Sakko erscheint L. vor Gericht und berichtet von Vermögenswerten von einer Million Euro. "Das liebe Geld" ist für seine Verteidigerin das Motiv hinter den Anschuldigungen, die alle falsch seien. "Er hat den Geldhahn zugedreht. Dann treffen sich mehrere Komponenten: Eine krankhaft eifersüchtige Ehefrau, die krankhaft eifersüchtige Freundin."
Neue Ermittlungen
Erst als der Arzt die Beziehung zur Geliebten beendet habe, sei die Schlammschlacht losgetreten worden. Nacktfotos der kleinen Tochter dieser Frau tauchten im Internet auf: Das führt jetzt zu einem weiteren Ermittlungsverfahren gegen den Arzt, bestätigt die Staatsanwaltschaft Graz. (Mehr über den Fall der betroffenen Frau im Sonntag-KURIER.)
Der Doktor selbst hat für jeden Vorwurf aus der Anklage eine lockere Erklärung. Schläge für die Kinder? "Nur einmal. Eine Tochter hatte einen hysterischen Anfall." Tabletten? "Das waren Schlafmittel. Zwei Mal 20 Stück in einem halben Jahr. Davon wird kein Mensch abhängig." Verdorbenes Essen? Bloß zwei Mal, eine abgelaufene Tiefkühlpizza und Marmelade, von der er Schimmel gekratzt habe. "Aber die Kinder haben das nicht gegessen. Die hatten keinen Respekt vor mir."
L. gibt zu, was sich nicht abstreiten lässt. Die Selbstverstümmelungen sind dokumentiert. Ebenso, dass er sich selbst Narkotika spritzte und mit der Waffe in der Hand drohte, sich zu töten. "Aber das hab' ich öfter so gesagt: 'Da kann ich mich ja gleich umbringen'." Er habe die "Eifersucht meiner Frau nicht mehr ausgehalten". Die Anwältin der Kinder hakt ein, dass er ja mehrere sexuelle Beziehungen gehabt habe, doch Richter Rom stoppt ab. "Wir machen hier keine Stimmung. Und wenn er 17 Freundinnen gehabt hat, ist mir das egal."
Nicht egal sind die Selbstverletzungen des Angeklagten: Der Richter lässt ihn jetzt von einem Psychiater untersuchen. Er soll klären, ob wegen seiner Verstümmelungen eine seelische Abartigkeit vorliege und der Arzt überhaupt zurechnungsfähig ist.
Die vier (inzwischen erwachsenen) Kinder haben in einem vierseitigen Papier auszugsweise festgehalten, was ihnen vor ihrem Vater Angst gemacht hat und immer noch Todesangst macht:
- dass unser Vater sich die Waffe vor unseren Augen an die Schläfe gehalten hat
- dass unser Vater sich in den Strick fallen lassen hat
- dass er sich einen Schraubenzieher in die Bauchdecke gebohrt hat
- dass er sich tot gestellt hat
- dass er uns zum Spritzen geholt hat
- dass er sich jahrelang Dormicum, Valium, Morphium und Fentanyl spritzt
- dass er Susanne mit neun Jahren eine geladene Waffe gegeben und gesagt hat, sie kann damit schießen, wenn ein Einbrecher kommt
- dass er uns nicht behandelt oder falsch behandelt hat, mit schweren Auswirkungen
- dass er mit Patientinnen arge Sexpraktiken macht und das Ganze fotografiert
- dass er mit uns gespielt hat, auch mit unserem Leben
- dass wir keinen Wert für ihn haben, dass niemand einen Wert hat; dass er das, wenn es für ihn wichtig war, aber super vortäuschen hat können
- dass er zu einer Frau gesagt hat, dass er mit ganz anderen Mitteln arbeitet
- dass die Polizei nicht hilft
- dass das Gewaltschutzzentrum ihn als gefährlich einstuft ...
L. bestreitet alle Vorwürfe.
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